{"id":2197,"date":"2021-12-07T14:58:42","date_gmt":"2021-12-07T13:58:42","guid":{"rendered":"https:\/\/www.noonsong.strehober.com\/?p=2197"},"modified":"2023-07-03T11:18:22","modified_gmt":"2023-07-03T09:18:22","slug":"noonsong-die-idee","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/noonsong.de\/2021\/12\/07\/noonsong-die-idee\/","title":{"rendered":"NoonSong – Die Idee"},"content":{"rendered":"\r\n
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Der Noon Song \u2013 das klingende Geschenk f\u00fcr Geist und Seele. Wer die heilsame Kraft der T\u00f6ne und Melodien sucht, richtet seine Schritte am Samstagmittag in die Kirche Am Hohenzollernplatz. Angefangen von den Psalmen \u00fcber jahrhundertealte Chor\u00e4le und Motetten bis hin zu zeitgen\u00f6ssischen Kompositionen dringt die st\u00e4rkende Kraft der geistlichen Musik an Herz und Verstand, immer auf \u2018s neue ein Vergn\u00fcgen, Trost und Freude f\u00fcr den ganzen Menschen.\u00a0<\/p>\r\nChristhard-Georg Neubert – Kunstbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin Brandenburg – Schlesische Oberlausitz<\/cite><\/blockquote>\r\n\r\n\r\n\r\n

Dozent f\u00fcr Chorliteraturkunde\u00a0<\/h2>\r\n\r\n\r\n\r\n
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Stefan Schuck<\/figcaption>\r\n<\/figure>\r\n<\/div>\r\n\r\n\r\n\r\n
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Als Dozent f\u00fcr Chorliteraturkunde an der UdK Berlin stand ich h\u00e4ufig im Lesesaal der Musikbibliotheken vor den Denkmal- und Gesamtausgaben. In der opulenten, teuer gebundenen Reihe \u00bbDas Erbe deutscher Musik\u00ab mit 125 B\u00e4nden, und anderen gro\u00dfformatigen Reihen stie\u00df ich auf gro\u00df angelegte, prachtvolle Kirchenmusik aus Mittelalter, Renaissance und Barockzeit, von der ich zuvor nie etwas geh\u00f6rt hatte.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Von vielen Werken gab es keinerlei Einspielungen auf Tontr\u00e4ger, obwohl sie in den wissenschaftlichen Ausgaben in perfekt lesbare neuzeitliche Musiknotation \u00fcbertragen vorlagen. Eine noch gr\u00f6\u00dfere Fundgrube sind die alten Gesamtausgaben, die ab dem 19. Jahrhundert erstellt wurden.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Erstaunlich viele Vertonungen protestantischer Komponisten von Psalmen und Magnificats, oft mehrch\u00f6rig und mit vielen Instrumenten, waren darunter, und ich begann mich zu fragen, in welchem gesellschaftlichen und liturgischen Kontext diese Werke wohl erklungen sind.<\/p>\r\n<\/div>\r\n<\/div>\r\n\r\n\r\n\r\n

Trinity College Cambridge<\/h2>\r\n\r\n\r\n\r\n

Ein paar Antworten auf meine Fragen erhielt ich bei einem Besuch des Trinity College Cambridge, wo ich zu Gast beim dortigen Chorleitungsprofessor Richard Marlow war. Dort erlebte ich die t\u00e4glichen, vom College Chor gestalteten Evensongs. Der Chor sang jeden Tag auf h\u00f6chstem Niveau Psalmvertonungen in vielf\u00e4ltigster Weise, von der Gregorianik \u00fcber einfache \u00bbanglican chants\u00ab bis hin zu hochvirtuosen Motetten, und jeden Tag eine Magnificat-Komposition.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Im Evensong hat sich n\u00e4mlich die Tradition des chorisch gestalteten Stundengebetes erhalten, die in der evangelischen und katholischen Kirche auch in Zentraleuropa noch bis ins 19. Jahrhundert regelm\u00e4\u00dfig gefeiert wurde<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

T\u00e4glicher Evensong<\/h2>\r\n\r\n\r\n\r\n

Gleichzeitig begeisterte mich, wie der t\u00e4gliche Evensong die Menschen pr\u00e4gt: der Chor muss unglaublich schnell und aufmerksam sein, um jeden Tag neue Werke auff\u00fchrungsreif singen zu k\u00f6nnen, die Besucher werden durch den herrlichen Gesang motiviert, ihren Gemeindegesang ebenso sch\u00f6n erklingen zu lassen, und alle leben ganz selbstverst\u00e4ndlich in ihrer musikalischen Tradition, die sie jeden Tag erkunden und lebendig werden lassen.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Ganz abgesehen davon, zieht der Evensong t\u00e4glich viele Touristen an, so dass die traditionsreichen College-Kirchen in Cambridge stets gut besucht sind. Ich verlie\u00df Cambridge mit dem Wunsch, das chorisch gesungene Stundengebet auch bei uns wieder regelm\u00e4\u00dfig aufleben zu lassen \u2013 und in der \u00dcberzeugung, dass diese Form auch in einer so s\u00e4kularen Stadt wie Berlin gut f\u00fcr die Ruhe und Besinnung suchenden Menschen ist.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Der NoonSong \u2013 Fortsetzung einer jahrtausendealten Tradition<\/h2>\r\n\r\n\r\n\r\n

Die Evensong-Liturgie kn\u00fcpft an die Form der Tagzeiten-Gebete an, wie sie vor allem an den Lateinschulen und Kl\u00f6stern im protestantischen Mitteldeutschland im 16. Jahrhundert gefeiert wurde \u2013 eine Tradition, die gerade erst wieder erforscht und erschlossen wird<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Tagzeitenliturgie<\/h3>\r\n\r\n\r\n\r\n

Die Tagzeitenliturgie mit ihrer strengen Kirchenjahresbindung wird in vergleichbarer Weise in allen christlichen Kirchen gefeiert und ist somit eine ideale Form des \u00f6kumenischen Gottesdienstes. Aus musikalischer Sicht bietet sie den origin\u00e4ren Rahmen f\u00fcr die F\u00fclle an figuraler Chormusik auch protestantischer Komponisten, z.B. zu den Cantica, die in der lutherischen Messe keinen Platz haben, und erm\u00f6glicht so die Wieder – belebung dieses Schatzes.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

F\u00fcr die Besucher ist der NoonSong ein \u00bbniederschwelliges Angebot\u00ab, weil sie vor allem h\u00f6rend an der Liturgie beteiligt sind. Diese Rolle des Zuh\u00f6rers hat bereits Samuel Sebastian Wesley im Zuge der \u00bbMusical Renaissance\u00ab in der anglikanischen Kirche im 19. Jahrhundert so beschrieben: \u00bbIn his view, those who actually performed the service could never be so thoroughly imbued with its spirits as those who preserved a silent attention. The beauty of choral service of the Church […] must necessarily render the auditor speechless, and produce a feeling far different from that which results in utterance.\u00ab (1)<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Liturgisches Modell<\/h3>\r\n\r\n\r\n\r\n

In vorbereitenden Gespr\u00e4chen u.a. mit dem katholischen Priester Prof. Dr. Andreas Odenthal, (Lehrstuhl f\u00fcr Liturgiewissenschaft der Eberhard-Karls-Universit\u00e4t T\u00fcbingen, heute Bonn) und Altbischof Prof. Dr. Wolfgang Huber entwickelte ich die Rekonstruktion und Adaption des liturgischen Modells. Die formale Klammer stellen die \u00bbPreces & Responses\u00ab des Evensongs in deutscher \u00dcbersetzung dar. Sie umschlie\u00dfen zwei Psalmen, die Lesung und das Canticum und enden mit dem jeweiligen Wochenlied. Als Grundlage f\u00fcr die Psalmauswahl dient die Leseordnung des \u00bbEvangelischen Tagzeitenbuches\u00ab mit den jeweiligen Tages- und Wochenpsalmen zum folgenden Sonntag.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Gel\u00e4ut der Glocken<\/h3>\r\n\r\n\r\n\r\n

Wie zu einem Sonntagsgottesdienst l\u00e4dt das Gel\u00e4ut der Glocken ein. Die acht S\u00e4nger in roten Chorgew\u00e4ndern, der Dirigent und der Liturg haben im hinteren Teil der Kirche Aufstellung genommen. Unter den Kl\u00e4ngen der Orgel ziehen die Mitwirkenden ein und nehmen zwischen Gemeinde und Altarstufen Aufstellung. Damit wird verdeutlicht, dass der Chor stellvertretend f\u00fcr die Gemeinde agiert. Er singt die \u00bbPreces\u00ab im Wechsel zwischen Kantor, Liturg und Chor nach anglikanischem Ritus, welche sich aus dem Invitatorium und Versikel des Stundengebetes zusammensetzen.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Aus dem Altarraum erklingen als n\u00e4chstes zwei Psalmkompositionen, meist in gro\u00df angelegten Chorwerken, zu Tages- und Wochenpsalm. Als einziges gesprochenes Wort tr\u00e4gt der Liturg danach die Lesung mit wenigen einleitenden Worten vor, ge – folgt vom Responsorium des Chores in Form von deutscher Gregorianik. Als Canticum erklingt entweder eine Magnificat- oder BenedictusKomposition oder aber die Vertonung eines anderen, kirchenjahreszeitlich ad\u00e4quaten hymnischen Textes aus dem Neuen Testament.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Daran schlie\u00dfen sich die \u00bbResponses\u00ab an. Sie bestehen aus dem Kyrie, dem Vater unser, in welches die Gemeinde mit einstimmt, den gro\u00dfen F\u00fcrbitten im Wechsel zwischen Liturg und Chor sowie den drei Kollektengebeten, die der Liturg nach anglikanischer Tradition auf einem Rezitationston singt. Mit dem jeweiligen Wochenlied, gesungen im Wechsel von mehrstimmigem Satz des Chores und Gemeinde und dem Segen des Liturgen schlie\u00dft die kurze Liturgie und der Chor zieht unter den Kl\u00e4ngen eines Orgelst\u00fcckes wieder aus.<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

Die Tradition gewordene Tradition<\/h2>\r\n\r\n\r\n\r\n

Heute, nach fast 500 NoonSongs, ist der NoonSong selbst zu einer Tradition geworden, welche den Rhythmus des Wochenendes vieler Menschen bestimmt. R\u00fcckschauend erkenne ich, dass der NoonSong inzwischen einiges bewegt hat. Ich kenne keine Gemeinde, die so gut singt wie die NoonSong-Gemeinde, schwungvoll und intonationssicher, gern auch mehrstimmig. Der NoonSong verzeichnet auch nach zehn Jahren ein Besucherwachstum, ganz im Gegensatz zur aktuellen Entwicklung der Gottesdienstbesucher in katholischen oder evangelischen Gemeinden. Da der NoonSong auch nach \u00fcber zehn Jahren ohne regelm\u00e4\u00dfige institutionelle F\u00f6rderung durch Land oder die Kirchen auskommen muss, hat sich eine einmalige Form der aktiven Unterst\u00fctzung entwickelt: der NoonSong existiert nur so lange, wie Menschen sich f\u00fcr ihn einsetzen. Solcherart abh\u00e4ngig von der Zustimmung unserer Besucher haben wir uns offen jeder Diskussion und Anregung gestellt, sind dabei aber der tradierten Form treu geblieben. Dies ist vielleicht die erstaunlichste Erkenntnis: Dass jahrtausendealte Psalmtexte im Rahmen einer traditionsreichen Liturgie in gr\u00f6\u00dftm\u00f6glicher Sch\u00f6nheit gesungen, die Kraft des Wortes Gottes auch heute noch offenbaren. (2)<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

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1 Rainbow, Bernarr: The Choral Revival in the Anglican Church 1838\u20131872, London 1970, Neuaufl. Woodbrigde 2001<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

2 In den \u00fcber 10 Jahren erklangen \u00fcber 400 verschiedene Psalmkompositionen, \u00fcber 50 verschiedene Magnificats und \u00fcber 20 verschiedene LiturgieVertonungen. s.a. M\u00fcller, Claudio: 30 Minuten Himmel \u2013 der Berliner NoonSong, in: Musica sacra 2018, S. 350\u2013352<\/p>\r\n\r\n\r\n\r\n

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Prof. Stefan Schuck beschreibt die Entstehung des NoonSongs von der ersten Idee bis heute. | Auszug aus dem Programmbuch des Festivals zum 500. NoonSong, Februar 2020<\/p>\n","protected":false},"author":5,"featured_media":2247,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_et_pb_use_builder":"off","_et_pb_old_content":"","_et_gb_content_width":"","footnotes":""},"categories":[55],"tags":[],"class_list":["post-2197","post","type-post","status-publish","format-standard","has-post-thumbnail","hentry","category-noonsong-inside"],"acf":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2197","targetHints":{"allow":["GET"]}}],"collection":[{"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/5"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=2197"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2197\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/2247"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=2197"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=2197"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/noonsong.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=2197"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}