711. NoonSong am 12.04.2025 um 12:00 Ein mystisches Stabat mater von Nystedt mit Cello
Am Beginn der Karwoche, dem NoonSong vor Palmsonntag, wird der NoonSong besonders festlich gestaltet. 1986 schrieb der norwegische Komponist Knut Nystedt „Stabat Mater“ für gemischten Chor und Solocello, ein berührendes und eindringliches Werk, halb Cellokonzert, halb Chorkonzert. Dazu erklingt das berühmte Miserere des Venezianers Antonio Lotti (1666-1740), der die italienische Oper am Dresdner Hof mit überwältigendem Erfolg eingeführt hat. Entsprechend dramatisch sind auch seine späteren geistlichen Kompositionen.
Preces: Duncan Faulkner (*1951): Preces & Responses für vierstimmig gemischten Chor a cappella Wochenpsalm: Psalm 51: Antonio Lotti (1665-1740): Miserere mei für vierstimmig gemischten Chor a cappella Responsorium: gregorianisch Choral: Johann Crüger (1598-1662): Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken für vierstimmig gemischten Chor a cappella Schriftlesung: Evangelium nach Johannes 12,12-19 Knut Nystedt (1915-2014): Stabat mater für achtstimmig gemischten Chor und Violoncello solo
In diesem Passions-NoonSong erklingen Vertonungen des „Miserere“ und des „Stabat mater“ – die beiden meist vertonten geistlichen Texte nach dem Messtext. Beide Texte sind liturgisch in der Karwoche verortet und werden daher nur an wenigen Tagen gesungen, ganz im Gegensatz zum Spitzenreiter, dem Messtext, der ja jeden Sonntag in der katholischen Liturgie benötigt wird. Dennoch fühlten sich Komponisten über die Jahrhunderte ganz besonders zu diesen beiden Texten hingezogen. Eine niederländische Website listet an die 300 verschiedene Stabat mater Kompositionen auf, fast vergleichbar viele Vertonungen des 51. Psalmes „Miserere“ gibt es. Das „Miserere“ beschloß die besonders eindringlichen Stundengebete an den drei „Heiligen Tagen“ Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag. In völliger Dunkelheit vorgetragen, hatte und hat der 51. Psalm bis heute eine fast magische Wirkung. Der Beter in diesem Psalm ist im wahrsten Sinne des Wortes am Ende. Kraftlos, hoffnungslos, in völliger Depression bittet er Gott um Hilfe, um Erbarmen, um eine Perspektive. Der venezianische Komponist Antonio Lotti, der als Opernkomponist in Dresden mit großem Erfolg die italienische Oper eingeführt hatte, beschränkt sich in seinen kirchenmusikalischen Werken im dramatischen Ausdruck, ganz nach den Forderungen der kirchlichen Bestimmungen. Dennoch spürt er hörbar dem Affekt jeder Psalmzeile nach und stellt hoffnungsvolle Abschnitte in C-Dur neben im pianissimo aushauchende, verzweifelte Klage.
Der Norweger Knut Nystedt wurde im Laufe seines langen Lebens zu einer prägenden Persönlichkeit der zeitgenössischen Chormusik, weit über die Landesgrenzen hinaus. Sein großes Stabat mater für Chor und Solocello verknüpft virtuos Stilelemente aus einem Jahrtausend Kirchenmusik, von der Gregorianik bis hin zur Polytonalität eines Strawinskys. Das Cello scheint dabei den heutigen Menschen zu symbolisieren, der ratlos, erschüttert, vielleicht auch ungläubig die Botschaft von Christi Kreuzestod hört, während der Chor die Rolle der überzeitlichen christlichen Verkündigung einnimmt, mal im Kontrast zum Cello, mal im Widerstreit und auch gelegentlich in himmlischer Harmonie.
Im letzten NoonSong vor der Sommerpause erklingt noch einmal jubelnde Musik aus der Bach-Familie sowie vom diesjährigen Jubilar, G.P. da Palestrina: ein Fest der Stimmen, das beschwingt in den Sommer entläßt.